Ein fotografisches Gedächtnis
Quirin Brunnmeier, 2016
In Kooperation mit dem PIN Young Circle der Pinakothek der Moderne konnten wir das fotografische Gedächtnis von Inga Kerber explorieren. Ein Interview aus der aktuellen VILLAGE VOICE Ausgabe.
In ihren Arbeiten verbindet die Fotokünstlerin Inga Kerber klassische Genres der Fotografie mit neuen, absichtlich fehleranfälligen Reproduktionstechniken. Dabei schöpft sie aus ihrem privaten Bildarchiv und schafft neue Verbindungen, Assoziationen und spielt mit dem Begriff des Cliché.
Anlässlich des Ankaufs einer Arbeit durch den PIN. Young Circle für die Sammlung Fotografie und Neue Medien der Pinakothek der Moderne sprachen wir mit der Künstlerin.
VV Viele deiner mehrteiligen Arbeiten tragen im Titel das Wort „cliché“. Welche Assoziationen löst dieses Wort bei dir aus und hat das auch etwas mit einem Ideal zu tun?
IK Das Ideal könnte man sich dazu denken, aber um ein Ideal geht es mir eigentlich nicht. Der Cliché-Begriff hat unterschiedliche Bedeutungen, ich benutze den Begriff auch mit der Bedeutung aus dem Französischen, der sich auf das Fotografieren bezieht: ‘Faire un cliché’ – ein Foto machen. Da gibt es diese Synonymität. Aber wenn man sich dem Begriff weiter nähert, dann gelangt man im Grunde zum Bild. Das Cliché ist auch einfach ein Bild. Das Ideal hat ja den Anspruch nach etwas perfektem und darum geht es mir eigentlich nicht. Mich interessiert das Bild als Gegenstand, das Bild als etwas das prozesshaft entsteht, etwas das durch Wiederholung entsteht, das fotografische Bild, das materialgebunden ist. Klichieren heißt ja auch einen Abzug machen, etwas abklatschen.
VV Wie wichtig ist dir Wiederholung in deiner Arbeit? Ein Motiv mehrmals zu zeigen?
IK „Wenn ich ein Idealbild zeigen wollte, dann würde ich vielleicht nur ein Bild zeigen. Aber durch die Wiederholung mehrerer Bilder, ein Motiv mit kleinen Varianten, prüfe und hinterfrage ich das Bild. Ich kippe sozusagen diesen Idealbegriff, heble ihn aus. Durch kleine Differenzen und Widersprüche in den Wiederholungen. Das Bild selbst entsteht in der Abwägung dieser Unterschiedlichkeiten.“
VV Das Serielle ist also zentral für deine Arbeit?
IK „Das ist natürlich auch eine Abgrenzung zum fotografischen Einzelbild: Die Idee, dass Fotografie einen Moment einfängt. Den einen Moment zu erfassen, spielt dabei eine große Rolle. Den idealen Moment zu finden, wenn man so will. In meiner Arbeit möchte ich aber genau das aufbrechen und erweitern. Durch verschiedene Momente und kleine Varianten, mehrere Sichtweisen ermöglichen.“
VV Du untersuchst und prüfst das Bild und den Moment?
IK „Das passiert natürlich auch im Prozess. Ich drucke ein Bild mehrfach, kopiere ein Bild mehrfach, mache unterschiedliche Abzüge. Das ist wie eine Überprüfung: Was ist dieses Bild, wie ist es am besten wiedergegeben.“
VV Wie wichtig ist dir der technische Prozess?
IK „Ich arbeite mit verschiedenen Kameratypen, Mittelformat, Kleinbild, auch Knipsen. Mal hochwertige, mal nicht so hochwertige Kameras. Damit befülle ich mein Archiv. Ich habe mit zehn oder zwölf Jahren angefangen zu fotografieren und seitdem sehr viel Material produziert wodurch sich mein Archiv ständig erweitert. Dieses Material ist der Ausgangspunkt. Das sind ganz unterschiedliche Formate und unterschiedliche Formen: Drucke, Abzüge, Farbkopien in verschiedenen Größen. Diese Bilder speise ich in den Scanner ein, als Vorlage, und diese Scans drucke ich dann. Ich mache dabei keine Bildbearbeitung im klassischen Sinn. Dieser Vorgang, dieser Prozess wird so zu einem Stilmittel. Ganz konkret sind das mehr als zehn Kisten an Material auf das ich immer wieder zurückgreife und das ich ordne und immer wieder umordne. Auch hier spielt der Cliché-Begriff wieder eine Rolle: Ich sortiere die Bilder teilweise nach ganz klassischen Kategorien: Blumenstillleben, Frauen, Kinder, Landschaften, Tiere. Eigentlich einfache Kategorien nach denen ich dieses Archiv organisiere, nach Wiederholung und Differenz.“
VV Ist dir bei älteren Bildern manchmal dein eigener Blick fremd?
IK „Es gibt Fotos, die ich mit 14 Jahren gemacht habe, die fand ich damals nicht gut, und war unzufrieden. Aber wenn ich mehr als zehn Jahre später auf das Bild blicke, finde ich es auf einmal interessant. Man braucht teilweise wirklich einen Abstand, eine Distanz um manche Bilder verstehen zu können. Da gibt es tatsächlich einen Moment der Fremdheit, man betrachtet sich fast selbst: Man kennt die Introspektive aber man sieht es mit dem zeitlichen Abstand anders. Auch wenn ich zu jedem Bild eine bestimmte Erinnerung habe, wann genau ein Bild aufgenommen wurde gebe ich in meiner Arbeit nicht preis. Durch die Auswahl, den Druck und die Präsentation werden die Bilder gleichwertig in die Gegenwart geholt. Sie haben alle eine bestimmte Farbigkeit, eine eigene Ästhetik. Eine nostalgische Komponente steht daher nicht im Mittelpunkt, auch wenn die Bilder für mich ein fotografisches Gedächtnis von bestimmten Momenten darstellen.“
Die Sammlung Fotografie und Neue Medien der Pinakothek der Moderne bemüht sich darum, vorhandene Bestände zu komplettieren und bestimmte Sammlungsschwerpunkte kontinuierlich auszubauen. Bis in die unmittelbare Gegenwart hinein sollen insbesondere künstlerische Positionen gesammelt werden, die an Themen der Sammlung anknüpfen und diese neu interpretieren. In diesem Vorhaben wird sie auch vom PIN. Young Circle unterstützt, der als junger Ableger vom PIN. Verein der Freunde der Pinakothek der Moderne speziell eine breitere Gruppe jüngerer Interessenten anspricht. PIN.YC blickt hinter die Kulissen des Kunstbetriebst und besucht Orte, an denen zeitgenössische Kunst entsteht und ausgestellt wird.Wer Interesse an einer Mitgliedschaft hat, schaut sich am besten auf der brandneuen PIN.YC Webseite www.pinyc.de um.
Das Interview führte Quirin Brunnmeier – gallerytalk.net für Village Voice
http://www.superpaper.de/ein-fotografisches-gedachtnis/