I shall not want
Sarah Alberti (2020)
In ihrer Einzelausstellung »Mir wird nichts mangeln, I shall not want« im Leipziger Kunstraum Ortloff (04.07.–18.07.2020) kombinierte IK Fotografien, Zeichnungen, Malereien und Objekte zu einem vieldeutigen Raumensemble: Im Zentrum stand »Autel« (frz. Altar), komponiert aus auf Brachflächen unkultiviert und frei zugänglich wachsenden Pflanzen der Saison. Rainfarn, Wicken, Rosen, Mirabellen und Feuerdorn, die der Trockenheit getrotzt hatten, formten eine organische Skulptur, deren symmetrische Anordnung an ein Diptychon denken ließ. Dicht verwoben bildete der Pflanzenteppich ein Muster aus Gelb, Rosa, Blau, Grün und Rot.
Während der zweiwöchigen Ausstellungsdauer dem Trocknungsprozess ausgesetzt, schrumpfte das Volumen der Skulptur, Früchte begannen zu reifen, Insekten schwirrten verloren durch den Raum. Auch sensorisch entfalteten die Pflanzen ihre Wirkung, trugen noch den Geruch von Feldblumen neben Asphalt, gewärmt von der Sonne, auf dem Weg zum See. Der Sommer war sehr groß, er erquickte meine Seele. Am Altar verblassten die Farben der Blüten wie ein Hochzeitsstrauß, der zum Trocknen kopfüber hängt. Der verzweifelte Versuch der Erhaltung des Augenblicks. Was übrig blieb, war Zweisamkeit als Zeitvertreib.
Getrocknetes wurde zu Ankern des analogen Daseins, zum ephemeren Denkmal, zu Opfergaben der künstlerischen Intention. Transferiert in den Innenraum schrieb es Geschichten, formte den Altar, dieses Monster der Vergänglichkeit, und strotzte der Zeit, die sie drängt. Schönheit und Schrecklichkeit, Leben und Tod – es waren diese Ambivalenzen, die die Installation durchdeklinierte.
Ein rostiges Zaunfeld lehnte an der Wand. Das, was es schützte, ist nicht mehr schützenswert, das Hinweisschild übermalt, wie Parkordnungen Graffitis weichen müssen. Ein Hula-Hoop-Reifen, mit Tannenreisig und Geschenkband zum Maibaumkranz umfunktioniert, profanes Relikt an der Wand. Das Hinterland des Kunstraums zum temporären Blumenladen erklärt, gefüllt mit pflanzlichem Altar-Nachschub, ein Schutzraum, vor dem Lauf der Zeit. Bauchige Vasen tragen das Erbe der DDR, nackte Frauen inszenieren sich in Spargelgewächsen.
Auf dem Boden eine lose Blattsammlung, stellvertretend für das Buch der Bücher. Die Leserichtung ist nicht vorgegeben, man kann sie drehen und wenden, wie man will. Kognitiv wie körperlich wurde man Teil des Lesevorgangs. Zwischen Zeichnungen, Blüten und den an Tapeten der 70er Jahre erinnernden Bodenblättern erwachen innere Bilder: Von Urlauben in Frankreich, Gartenhäuschen im Niemandsland, Dörfern im Dornröschenschlaf. Von allen Beerdigungen, auf denen man gewesen ist. Und von allen, auf denen man gewesen sein wird. Keiner, der sich nicht vom Tod des vorigen nährt.
So wie das Leben sich im Rückblick beständig neu ordnet, provoziert von einem Satz, einem Geruch, einer Malerei, so arbeitet IK seit ihrem Diplom mit dem eigenen analogen Fotoarchiv, scannt ein, gruppiert um. Der methodische Zugang evoziert die Frage nach dem Abbildungsvermögen der Wirklichkeit. Jedes Foto der Versuch, der eigenen Endlichkeit entgegenzuwirken. Sind es in ihren »Cliches« die Bilder, die zum Teil bis in ihre Kindheit reichen, wird für die zeitbasierten Pflanzenwerke die Natur zum Archiv.
Der Titel des auf die Darstellung von Zeitlichkeit zielenden Raumensembles zitierte die zweite Strophe des Psalms 23, während alle Bestandteile der Ausstellung Religiosität bewusst zu hinterfragen schienen. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben, denn das Leben lebt, es ist ein wunderschöner Sommertag.
(Dieser Text wurde gefördert durch das "Denkzeitstipendium" der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen)