Nanne Buurman
Rekadrierung von Autorschaft. Zu Inga Kerbers fotografischen Arbeiten (1) (2013)
Im Kontext des Cahier du Cinéma entstand in den 50er Jahren die Forderung, Regisseure sollten sich an allen Schritten der Filmproduktion beteiligen, um einen persönlichen Stil entwickeln zu können. Ziel war es, die Regie aus dem Schattendasein der Literatur und der Macht der Produzenten zu befreien. Angesichts der idiosynkratisch poetischen Bildästhetik von Inga Kerbers Bildern lässt sich ihre Arbeit analog zu dieser Politique des Auteurs der Nouvelle Vague-Regisseure als Autorenfotografie verstehen. Auch wenn Kerbers Fotografien durch ihre spezielle Technik teilweise malerisch anmuten, wird weder die Malerei nachgeahmt noch Autorschaft in Anlehnung an modernistische Künstlervorstellungen als geniale Subjektivität oder Expression eines singulären Individuums fantasiert. Stattdessen geht es darum, die immanente Subjektivität der Fotografie herauszustellen. Dieses Beharren auf Subjektivität ist jedoch nicht mit einer Vorstellung von der Übermacht des Autors oder seinem Anspruch nach absoluter Kontrolle zu verwechseln. Subjektivierung dient hier ähnlich wie bei Jean-Luc Godard, der durch die Inszenierung der Mise en Scène die Konstruiertheit des Films hervorhob, auch einer Desillusionierung und damit der Relativierung auktorialer Kontrolle. In Kerbers Arbeiten wird das Wechselspiel von Autorschaft, Aleatorik, Automatik exponiert. Im medienreflexiven Umgang mit den relational ineinander greifenden Prozessen der Reproduktion und Rezeption in der Bildproduktion, findet eine Dekonstruktion des fotografischen Dispositivs der Objektivität statt.
Inga Kerber bricht dazu mit einigen gängigen Konventionen der Fotografie. Während dort meist akribisch auf fussel- und schlierenfreie Negative, Scans und Prints geachtet wird und diese Abweichungen als Fehler gelten, die die perfekte Illusion der Hochglanzfotografie stören, arbeitet Kerber konstruktiv mit diesen Spuren. Auch Unschärfen, Über-/Unterbelichtungen, Farbverschiebungen werden nicht verleugnet, sondern als konstitutiver Teil der Fotografie behandelt. Zufälliges wird ebenso wie normalerweise eher unerwünschte systematische Effekte der Fototechnik (z.B. Farbeffekte verschiedener Scanprofile) affirmiert. Und obwohl auf diese Weise malerische Wirkungen, etwa in der Farbigkeit oder hell-dunkel Verteilung entstehen, ist Kerbers Arbeit kein Versuch, die Fotografie über die Malerei künstlerisch zu nobilitieren. Im Zentrum steht die Herausstellung des spezifisch Fotografischen. Deshalb zeigt sie die Materialität des Bildträgers bewusst „nackt“. Reproduktionsränder werden auf dem Fotopapier stehen gelassen und diese wie Poster ungerahmt an die Wand gebracht. Dem Mythos der Allwissenheit, Passivität und Unbestechlichkeit des fotografischen Objektivs setzt Kerber Effekte des Zufalls und der Technik entgegen. Was im Namen der perfekten Illusion und Sterilität sonst gerne verdrängt und ausgeschlossen wird, holt Kerber zurück in die Fotografie. In der Exponierung der Produktivität der Reproduktion manifestiert sich ihre spezifische fotografische Autorschaft.