"Mamma Mia"
published by Museum Bensheim at Lubok Verlag Leipzig, 2022
Design by Kay Bachmann
Text by Dr. Jan Christoph Breitwieser
Dr. Jan Christoph Breitwieser (2022)
Inga Kerber arbeitet analog in einer zunehmend digitaler werdenden Welt. Die Patina des Alten fasziniert sie. Für ihre Stoffarbeiten, Zeichnungen und Fotografien bedient sie sich daher an Materialien aus der Vergangenheit: Abgelaufene Fotofilme oder alte Stoffe aus DDR-Zeiten bilden die Basis ihrer Ausdruckweise und am Ende vereint sie die entstandenen Einzelstücke zusammen mit Pflanzenobjekten in ausgewogenen Raumkompositionen. Die mit organischen Motiven bemalten Textilien werden zu Wandbehängen und antike Möbel mit darauf arrangierten Zeichnungen aus Papier, Fotografien sowie Blumengestecke im Zusammenspiel mit passenden Vasen auf dem Boden, suggerieren ein Interieur, welches zum Teil auch an Innenwände einer Jurte denken lässt.
Den Betrachtenden erschließt sich dieser exotisch wirkende Mikrokosmos vielleicht mit dem Blick in die Antike und Ethnologie des nahen und fernen Orients: Ornamente auf Teppichen, Wandbehängen und -malereien sowie auf Fliesen haben archaische Ursprünge. Die Pflanzen- und Tierwelt, aber auch besonders der weibliche Körper wird dort bereits vor tausenden von Jahren abstrahiert. Solche Motive umgeben die Menschen von da an alltäglich und überall. Sie sind keine profane Dekoration, sondern stahlen tiefgründige Symbolik aus. Bei ihren Reisen in den nahen und fernen Osten sieht Inga Kerber genau diese grundlegenden Bild- und traditionellen Kunsthandwerke und findet eine beachtliche Schnittmenge zwischen diesen und ihrer eigenen Haltung zur organischen Materialität. Einerseits ist die Herkunft der Ornamente wie in den bemalten Textilien ganz offensichtlich, andererseits eröffnen sich komplexere Motive altorientalischer, lebensspendender Symbolik beispielsweise in Pastellzeichnung: Formatfüllend ist hier eine weibliche Figur im Wasser stehend, mit Schuppenhemd und Rankenhose dargestellt. Um sie herum wachsen üppige, fruchttragende Pflanzen. In der Sichtweise eines Altorientalisten oder vorderasiatischen Archäologen ist hier zweifellos eine Quellgöttin, umgeben von Lebensbäumen, wiedergegeben.
Doch Inga Kerber verharrt nicht in der Vergangenheit oder im Rückwärtsgewandten. Sie zieht Pflanzen aus der fiktiven Bildwelt heraus, baut sie im eigenen Garten an und erschafft so wieder eine reale Welt, die ihr neue Inspirationen für zeitgenössische ästhetische Raum- und Bilderlebnisse gibt.