Birgit Kulmer
Essay for Open Minded, Stiftungspreis Fotokunst, 2017
In ihren mehrteiligen fotografischen Serien, die Inga Kerber mit Cliché untertitelt, betritt die Geschichtlichkeit der Bilder in verblichen scheinenden Tonwerten, Unschärfen und Verschattungen die Bühne. Seit ihrer Erfindung haben Künstlerinnen und Künstler immer wieder die "Natur" der Fotografie in Frage gestellt. Ihrer Fähigkeit, Gegenstände und Personen in detailgetreuer Entsprechung abzubilden, wurde früh durch bewusst unscharfe Bilder widersprochen. Inga Kerber verbindet in ihren Fotografien, die sich nach klassischen kunsthistorischen Genres wie Landschaft, Porträt, Stillleben gliedern, analoge und digitale Komponenten der Bildproduktion. Sie scannt ihre analogen Handabzüge, vergrößert sie um ein Vielfaches und druckt sie im Pigmentdruckverfahren auf verschiedenen Papieren mit unterschiedlichen Druckern. Die Variationen innerhalb der Serien gehen zurück auf apparative und materielle Bedingungen des Reproduktionsverfahrens, die gerade nicht, wie im Piktorialismus mit seinen Edeldruckverfahren, verschleiert, sondern zum "Eigentlichen" der Fotografie werden. Somit ist auch jeder finale Abzug als Original anzusehen, da sich bei so genauer Betrachtung die Reproduktion als Illusion herausstellt. Um diese besondere, den apparativen Bedingungen geschuldete Geschichtlichkeit der Bilder herauszustellen, greift Inga Kerber auf bestimmte Fotografien ihres Archivs analoger Ursprungsbilder wiederholt mit zeitlichem Abstand und damit anderen apparativen Möglichkeiten zurück. Das Ergebnis sind neue Variationen eines Clichés (franz. ein Foto machen, Negativ und Abzug), wobei die Möglichkeit der Variation der Wortbedeutung des Klischees im Deutschen zuwiderläuft. Sind Klischees doch vorgeprägte und damit stillgestellte Bilder, Rede- und Denkschemata. Die feinen, farblich in die Abstraktion überleitenden Fotografien Inga Kerbers machen die Unschärfe des fotografischen Prozesses zum Komplizen einer Reflexion über die Ungewissheit des Mediums der Fotografie.