Anne Schwalbe (2023) for Weekender Magazin
Ein Besuch in der analogen Welt von Inga Kerber.
Getrocknete Pflanzen werden im Atelier von Inga Kerber zu Skulpturen. Adressen die sie auf Briefumschläge schreibt, werden zu Bildern. Sie malt und zeichnet, baut Blumen an, manchmal fotografiert sie auch und ist sehr lebendig. In ihrer Malerei und auf ihren Zeichnungen wachsen Frauen, Pflanzen und auch Wörter ineinander, miteinander. Sie wachsen auf alten Leinenstoffen, auf überlagertem Fotopapier das manchmal einen ganz eigenen Rosarotstich hat. Oder auf altem holzhaltigen vergilbten Papier. Die Welt von Inga Kerber ist sehr analog. Das Digitale ist ihr zu glatt, zu kühl. „Ich bin dem Digitalen relativ kritisch, skeptisch und abgewandt. Sachen anfassen, Menschen begegnen, Erde in der Hand haben – das sind alles menschliche Grundbedürfnisse, die glücklich machen.“. Ein Satz des Philosophen Bjung Chul Han ist ihr wichtig: „Das Glatte ist die Signatur der Gegenwart. (…) Warum finden wir heute das Glatte schön? Über die ästhetische Wirkung hinaus spiegelt es einen allgemeinen gesellschaftlichen Imperativ wider. Es verkörpert nämlich die heutige Positivgesellschaft. Das Glatte verletzt nicht. Von ihm geht auch kein Widerstand aus. Es heischt Like. Der glatte Gegenstand tilgt sein Gegen. Jede Negativität wird beseitigt.“ Gemalt hat Inga Kerber schon immer. Schon als Kind. Geboren wurde sie 1982 in Berlin, aufgewachsen ist sie in Hamburg. Studiert hat sie dann aber doch Fotografie, an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Irgendwann war sie unglücklich mit der Fotografie. Fotografieren ist ihr zu technisch, es gibt zu wenig Handarbeit. Inga Kerber fehlte es, den Stift in die Hand zu nehmen. So hat sie sich dann mehr und mehr für die Malerei entschieden. Inga Kerber malt ausschließlich Frauen, keine Männer. Die Frauen wirken selbstbewusst. „Beim Malen gehe ich von mir und meinem Körperbild aus. Und ich habe nun mal einen weiblichen Körper.“ Ihr Atelier befindet sich in der Baumwollspinnerei in Leipzig. Anfang des 20 Jahrhunderts war dieses Gelände wie eine kleine Stadt und eine der größten Baumwollspinnereien in Europa. Seit den frühen 1990er Jahren ist die Spinnerei Produktions- und Ausstellungsort von rund 100 Künstlerinnen und Künstlern. Schöne alte Backsteingebäude mit großen Fenstern beherbergen Ateliers, Werkstätten, Büros und Galerien. Auf dem 6 Hektar großen Areal befinden sich auch Läden und ein Restaurant mit einem Garten. Gemeinsame Ausstellungen werden organisiert, es gibt gegenseitige Hilfe und Inspiration, Freundschaften und Spaß und manchmal auch Ärger. Für Inga Kerber ist ihr Atelier, ihr Raum von großer Bedeutung. „Der Raum ist eine Arbeitsgrundlage. Durch die Malerei die mich umgeben hat, habe ich angefangen auch zeichnerische und malerische Sachen zu entwickeln. Die Räume hier machen was mit einem. Und auch das produktive Umfeld hier auf der Spinnerei war und ist sehr wichtig für mich.“. In ihrem Atelier stehen fast raumhohe Gräser und Pflanzen – japanischer Knöterich oder Pampasgras. Daneben getrockneter Raps, Rainfarn und Sanddorn. Im Frühling auch rosa blühende Blutpflaume. Die Äste und Zweige stehen in alten braunen Gefäßen – Inga Kerber mag diese schlichten großen Vasen aus der DDR, Flohmarktfunde oder Geschenke von Freunden. In den Archivschränken liegen Fotografien – Bilder von Reisen nach Vietnam, Marokko und Indonesien. Zeichnungen auf Papier bewahrt sie in Mappen auf, Malereien auf Stoffen sind gerollt. Auf dem Tisch liegt ein aktueller Auftrag - der Entwurf eines Etiketts für Leipziger Limoncello. Viele Künstlerinnen in Leipzig entwerfen Etiketten für lokale Getränkehersteller. Malerei, Pflanzen, Fotografie – manche konzentrieren sich auf eine Sache - Inga Kerber mag die Vielfalt. Sie arbeitet schnell und konzentriert, alles geht ineinander über, ihre Augen leuchten und sie lacht (Sie lacht viel und ist ein fröhlicher Mensch.): „In den letzten Jahren ist alles gut zusammen gewachsen. Diese verschiedenen Bereiche beatmen und befruchten und fördern sich gegenseitig.“. Als freiberufliche Künstlerin muss sie auch sehr organisiert sein und konzentriert arbeiten. Kreativität alleine reicht nicht. Sie kümmert sich um alles – Ausstellungen, Aufträge, Abrechnungen, Versicherungen. Schnittblumen baut sie seit 2018 an und gestaltet diese Pflanzen für Clubs, Restaurants und Privatpersonen. Auch für Ausstellungen. Die Übergänge sind fliessend. Mit ihrem Blumenprojekt Bouquet Leipzig ist sie Mitglied in der Slowflower-Bewegung - einer Vereinigung von Gärtnerinnen und Gärtnern in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich für einen nachhaltigeren, pestizidfreien und lokalen Schnittblumenanbau einsetzen. „Das Arbeiten auf dem Blumenfeld inspiriert mich sehr. Das Feld ist eine Muse. Wenn ich raus muss aus dem Atelier und frische Luft brauche, gehe ich auf mein Feld. Es ist ein schönes organisches Gegenüber. Und ich trete in einen Dialog mit dem Boden.“ Seit ihrer Kindheit begleiten sie Pflanzen. Ihre Mutter ist Garten- und Landschaftsplanerin und ihre Oma, eine gelernte Gärtnerin, lebte auf einem Bauernhof . Die Pflanzen bringen auch einen Rhythmus, eine Struktur in ihr Leben. Abends im Sommer ist klar, dass die Dahlien Wasser benötigen. Auch die körperliche Arbeit im Garten tut ihr gut. Nach 2 Tagen Dahlien ausbuddeln, weiß sie was sie gemacht hat. Ein Feld von ihr ist ganz in der Nähe von ihrem Atelier, gleich gegenüber auf dem Plagwitzer Friedhof neben der Spinnerei. Der Friedhof ist inzwischen ein Kooperationspartner von Inga Kerber. Dort sät sie Jungfer im Grünen, Zinnien, Strohblumen, Cosmea, Wilde Möhre, Sonnenblumen, Silbertaler, Miscanthus, Muskatellersalbei, Zierlauch, Astern, Akelei, Schafgarbeund Dahlien. Im Frühling blühen dort Tulpen, Narzissen, Fritillaria und im späten Winter Christrosen. Umgeben ist das Feld von vielen verschiedenen Sträuchern: Weigelie, Flieder, Forsythie, Jasmin, Zierquitte, Berberitze, Efeu. Alte hohe Bäume wachsen dort auch - perfekte Arbeitsbedingungen. Die Blumen die sie dort erntet, werden zu bunten Blütenskulpturen. In Ausstellungen hängt Inga Kerber große Malereien auf Stoff neben gerahmte Zeichnungen auf Papier und Fotografien. Oft sind auch Blumen Bestandteil ihrer Ausstellungen. Sie installiert und entscheidet am liebsten vor Ort über die Hängung, so kann sie am besten in und mit dem Raum arbeiten. In ihren Welten konzentriert sie sich auf das WIE. „WIE ist das Material beschaffen? Ist die Pflanze saisonal? Da bin ich genau.“ Das Material spielt eine große Rolle für sie. Sie malt und zeichnet mit Ölfarben, Pigmenten, Ölpastellen und Tinte. Sie mag die Haptik von alten Leinenstoffen. Die Farben und die Bildträger haben für sie eine ähnliche Wichtigkeit wie der Bildinhalt. Es sind einfache reduzierte Bilder, Inga Kerber ist nicht interessiert an vermeintlich komplexen Bildinhalten. „Ich habe Lust, noch mehr in eine ornamentale Richtung abzudriften. Noch einfacher. Noch reduzierter.“