Katrin Günther
Inga Kerber – Fotografien (2013)
Von Malern, Blumen, Zeit, Klischees: Bilder-Reisen durch ein Kaleidoskop der Möglichkeiten
Soeben hat Inga Kerber den Marion-Ermer-Preis 2013 erhalten. Ihre Arbeiten sind aktuell in Ausstellungen in Weimar, Leipzig und Houston zu sehen.
Bereits als Kind habe sie fotografiert, erzählt Inga Kerber auf die Nachfrage, woher ihre Bilder kommen: auf Reisen, auf Streifzügen, geknipste Beiläufigkeiten, Erlebnisnotizen im Bild. Oft gesehene, vertraute Motive, „unperfekt“ bisweilen, auch bewusst inszenierte Aufnahmen und Serien – sie alle liegen in verschiedenen analogen Daseinsformen (Kopien, Prints, Abzüge) in Kartons, Bananenkisten und Schachteln im Atelier der jungen Fotokünstlerin in Leipzig. Hier wächst Inga Kerbers ganz persönliches Archiv. Ein Konvolut, auf das sie immer wieder zurückkommt, aus dem sie immer wieder Aufnahmen und Motive herausfischt, um sie ins Sichtfeld zu holen. Um betrachtend mit ihnen umzugehen, sich wieder oder ganz neu einzufühlen, um dann damit weiterzuarbeiten – oder sie auszusortieren.
Inga Kerber fotografiert analog. „Schon immer“, sagt sie – bis heute. Das ist ihr wichtig. Das fotografische Bild ist für sie – zuerst einmal − Erzeugnis eines technischen Vorganges. Im Klein- oder Mittelformat abgezogen gehen manche dieser Bilder zunächst auf Ausstellungsreise, andere verschwinden auf Jahre in ihrem Archiv, um erst später, Schwebteilchen in einem See gleich – zufällig mitunter − wieder an die Oberfläche aufzusteigen, zurück in den Blick.
Das Prozesshafte ist das wichtigste Moment der bildkünstlerischen Arbeitsweise Inga Kerbers an und mit einem Motiv. Besonders die sichtbaren Spuren interessieren sie, wenn sie die Fotos einscannt. Fehler und sichtbares „Leben“ eines Bildes, auch seiner bisherigen Verwendung und seiner Verarbeitung, sind unbedingt erwünscht: Oft sieht man etwa die Ränder der Passepartouts, ganz bewusst sind Beschädigungen erkennbar oder auch Fusseln auf dem Scannerglas. Eine gesteuerte technische oder gar digitale Manipulation hingegen findet nicht statt. Bewusst verzichtet Inga Kerber auf Retuschen oder Farbkorrekturen. Vielmehr forciert sie das Zufällige der verschiedenen medialen „Filter“, das Unvorhergesehene. Die Schärfegrade, die Farben, die Stimmungen verändern sich mit jedem weiteren Schritt, langsame Metamorphose. Schließlich werden die Motive großformatig auf Papier ausgeprintet, also wieder mittels technischer Transformationsprozesse auf einer neuen Ebene sichtbar gemacht – nun gedruckt. Farbklang der Couleurs, Interaktion der Pigmente mit verschiedenen Papieren, auch hier ist die Zufälligkeit des Ergebnisses bewusst und unbedingt gewünscht. Die Bilder, die so entstehen, muten bisweilen dunstig an, erscheinen seltsam entfernt, wie hinter Glas – obwohl sie dies gar nicht sind. Ihre eigentümliche Entrücktheit und ihr diffuses Timbre fallen sofort und unverkennbar auf.
Das eine Bild unmöglich
Inga Kerbers Arbeiten entstehen ausschließlich in Serien und Sequenzen. Trotz des vermeintlich filmischen Prinzips sucht der Betrachter jedoch narrative Momente vergeblich. Oft als Triptychen, Vierer- oder Fünferserien zusammengeordnet, meist simpel an die Wand gepinnt, zeigen diese Folgen stets Varianten und Nuancen je eines Motives. Die Bandbreite reicht dabei von ganz klassischen Porträts über Akte, Interieurs und Stillleben bis zu dokumentarisch anmutenden Aufnahmen, die an Schnappschüsse erinnern. Ihre Differenzen erweisen sich oft als marginal: Mal ist der Standpunkt der Kamera ein wenig verändert, mal der Ausschnitt, mal die Distanz, immer weichen die Farbigkeit und das Licht leicht ab.
Es liegt der Hauch des Uneindeutigen über diesen Arbeiten, dem man sich kaum entziehen kann. Unweigerlich tritt man an sie heran und sieht die Tiefen ganz nah, entdeckt malerische Bereiche, daneben faszinierend präzis-scharfe Details, kleine Fehler. In jeder einzelnen Serie entfalten sich Farbklänge in verschiedenen Timbres. Es ist, als würde ein und dasselbe Motiv simultan aufgefaltet, als würde es vibrieren in der sichtbaren Unmöglichkeit der Entscheidung, welches das richtige Bild ist. − Doch welches Bild hat Anspruch darauf? Kann der Künstler dies festlegen? – Will er das überhaupt?
Inga Kerber ist da sehr klar: Nein – genau das ist es, was sie nicht will. Bildgeworden stellt sie das Festlegen, das Fixieren, das Abschneiden von Offenheit und Möglichkeiten infrage. Das ist es, was sie reizt. Zwischen Zufall, Kunstgriff und Konzept wird das eine, das einzig wahre (fotografische) Ab-Bild unmöglich. In ihrer Arbeitsweise wird gleichberechtigt zum Motiv das Medium in seiner Natur zum Thema – zum Gegenstand. Es geht nicht um das Festhalten eines Moments, den Anspruch auf Realitätsabzug, dokumentarische Echtheitsgesten. Es geht um Bilder über Bilder. Um ein konzeptuelles Changieren zwischen allen Ebenen und das Vor-Augen-Führen von Möglichkeiten.
Die reduzierten Motive sind sparsam, unaufgeregt inszeniert, scheinbar hundertfach ähnlich schon gesehen, klischeehaft. Was andere Künstler beleidigen würde, darin liegt eine Absicht von Inga Kerber. Dieses Spiel mit den Klischees ist kein Zufall, sondern wohldurchdachtes Konzept.
Klischees in Serie
Der Begriff Klischee hat mehrere Bedeutungs- und Sinnfacetten: „Faire un cliché“ heißt im Französischen so viel wie „ein Foto machen“. Ins Deutsche übernommen, fand er in seiner ursprünglichen Bedeutung zunächst vor allem für technische Druckprozesse Verwendung. Hier steht das Wort für Abzug, Probedruck oder Druckform. In übertragenem Sinn meint ein Klischee eine schablonenhafte, abgedroschene Vorstellung, ein überkommendes, erstarrtes bzw. vorgeprägtes „Bild“ (in Sprache wie Denken), das auf Eigenschaften verweist, die als vergleichbar oder ähnlich angenommen bzw. zugeschrieben werden. Der Grat zum Vorurteil ist schmal, die Abgrenzung vom Stereotyp kennt Überschneidungen und Analogien.
In diesem Wort verschränken sich Verweise zur Fotografie, zu Druckprozessen und Denkbildern – und immer wieder verwendet Inga Kerber genau diese Bezeichnung „Cliché“ mit einem beschreibenden oder benennenden Zusatz als Titel für ihre Bilder. Kein Zufall – diesmal nicht.
Ihre „Klischees in Serie“ zeigen dabei verschiedene Themen- und Motivkreise: Es gibt Blumen und Sträuße, Menschen und Tiere, Porträts und Interieurs − klassische Genre der Kunstgeschichte also, fotografisch-bildnerisch neu interpretiert.
So präsentieren sich Inga Kerbers Blumensträuße meist als reduzierte Nature-morte-Arrangements. Dicht ist das kunsthistorische Netz an Traditionslinien und Assoziationen, das sich in diesen postmodernen Stillleben von Memento mori bis zu schnappschusshaft imperfekt festgehaltenen Jetztzeitdokumenten verwebt. Daneben faszinieren die Künstlerin Bilder von Menschen – Doppelsinn nicht ausgeschlossen. In einer ihrer Porträtserie zeigt sie etwa Bildnisse von Malerinnen und Malern ihrer Generation, per Titel mit Beruf und Namen „erkennbar“ bezeichnet. Sind dies also Standesbildnisse – ohne Attribute? Wirkten die Gezeigten (Künstler wohlgemerkt) auf ihr Foto ein? Welche Rolle spielt kunstsinniger Voyeurismus? Die Fragen bleiben offen, werden auch in der Dreierkonstellation der Serien nicht greifbarer. Das „eine“ Bild, das fassen könnte, was zu zeigen ist, wird erneut negiert.
Insgesamt fällt es schwer, sich in Betrachtungen wie dieser auf einzelne Bilder zu fokussieren, zumindest, wollte man sie beschreiben. Einzig der eigene Blick, die eigene Anschauung, der Betrachter selbst kann das leisten – und übertragen: Auch dies darf man als konzeptuell angelegt, als den Arbeiten gewissermaßen immanent gelten lassen.
Stoppover im Jetzt
Inga Kerbers Bilder atmen oft den Duft einer gewissen Intimität, locken bisweilen in den nebulösen Bereich des Voyeuristischen, verlangen stets das Innehalten des Blicks vor dem scheinbar Beiläufigen. Die Künstlerin spielt bewusst mit den Kategorien Reproduktion und Originalität und thematisiert damit einem Kernbereich ihres Mediums: der Fotografie. Aus ihr entwickelt sie ihre Bilder zu motivisch-thematischen Palimpsesten. Viele Ebenen verbinden und durchblenden sich: Das künstlerische Tun mit technischen Prozessen, dokumentarische Momente mit inszenierten Arrangements, das Gesammelte und Bewahrte mit dem (Wieder-)Gefundenen. Auch das Verwerfen hat seinen Platz, das Experiment, das offene Ergebnis.
Das prozesshafte Arbeiten Inga Kerbers ist dafür wesentlich und zugleich ihren Werken immanent. Geschichtlichkeit und Verlauf finden sich ein, eine entschleunigte Kontemplation in und mit den Motiven thematisiert zugleich Medialität, kunsthistorische Bezüge, Memento mori und Schönheit. Das Augenblickhafte, Erinnerungen gleich, entrückt Inga Kerber ins Uneindeutige, ihre Bilder münden in ein melancholisches Moment der Poesie. Darin und im Zusammenklang – der Motive, der Farben, der Stimmungen –, ganz leise, vibrieren alle Ebenen miteinander. Und: Hier ist nichts zu Ende, nur ein Stoppover im Jetzt. Es gelingt Inga Kerber ein bildgewordenes Befragen festgehaltener Momente, ein sich fortschreibendes Konzept, in dem zugleich Gestern, Heute und Morgen eine papierne Allianz als eine von vielen Möglichkeiten probieren.
09.12.2013 http://momenteel.de/inga-kerber-fotografien/ © Bilder: Inga Kerber / Text: Katrin Günther